Predigt 1. Joh 2,12-17

gehalten in der Schlosskirche Friedrichshafen am 5. November 2023

Ein älterer Mann steht an der Uferpromenade. Er hat seine Fotoausrüstung bei sich. Die Kamera richtet er mit einem großen Teleobjektiv auf die Berge, die vom ersten Schnee bedeckt sind. Dank der Technik sieht er den Säntis ganz nahe vor sich.

Ein Stück weiter lehnt eine junge Frau an der Ballustrade zum See. Sie macht ein Selfie, fotografiert sich selbst. Dafür hat Sie sich ganz besonders herausgeputzt.

Hören wir den Predigtext für den heutigen Sonntag, den 22. Sonntag nach dem Dreieinigkeitsfest. Er findet sich im 1. Johannesbrief, Kapitel 2, Verse 12-17:

Lesen: 1. Johannes 2, 12-17

Der ältere Herr mit seinem Fotoapparat und die junge Frau mit ihrem Handy an der Uferpromenade haben je ihre Welt im Blick.  Auch wir hier am Sonntag in der Schlosskirche haben unsere besondere Welt im Blick. Für den Augenblick ist es diese barocke Kirche, ein großzügiger, heller Raum. Er gibt uns etwas. Für viele Außenstehende ist das, was wir hier tun, so fremd wie manch einem von uns das was der ältere Herr tut oder die junge Frau.

Ja, auch wir haben unseren Blick auf die Welt. Wir haben etwas, das uns eint an diesem Sonntagmorgen, der Gottesdienst. Aber wir bringen auch unsere je eigenen Weltsichten mit. Jede und jeder eine etwas andere.

Auch der Briefschreiber, den wir gehört haben, sieht die Welt mit seinen Augen und nur in einem Ausschnitt: Er sieht Väter und junge Männer vor sich. Er übersieht die Frauen.

Doch das was er zu sagen hat, gilt allen Kindern Gottes. Und das sind Menschen jegliches Alters, jeglichen Geschlechts, jeglicher Hautfarbe, jeglicher Nationalität und jeglicher Herkunft.

Die Kinder Gottes zeichnet aus, dass sie erkannt haben, dass die Welt anders ist als ihr je eigenes begrenztes Weltbild.

„Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht bringe ich vor dich, wandle sie in Weite: Herr erbarmen dich.“ So haben wir zu Beginn gesungen.

Das, was ich und Sie, was wir für die Welt halten, ist nicht die Welt. Das griechische Wort „Kosmos“, welches Luther mit „Welt“ übersetzt, macht diesen Unterschied deutlich. Der Kosmos ist die Menschenwelt – im Gegensatz zur Welt, wie Gott sie gemeint hat.

Der ältere Mann, von dem ich zu Beginn erzählte, schaltet den Fernseher ab, wenn die Nachrichten kommen. Er hat sie satt, die schlimmen Nachrichten von Krieg und Sterben.

Sein Teleobjektiv wie auch die Fernsehnachrichten, zeigen nicht die Welt, wie sie ist und schon gar nicht, wie sie nach Gottes Willen sein soll.

Die junge Frau hat ihr Selfie ins Internet hochgeladen. Sie ist enttäuscht. Es ist lediglich ihre beste Freundin, die das Foto dort würdigt.

Inzwischen aber ist eine ganze Welt an ihr vorübergezogen – von ihr unbemerkt.

„Habt nicht lieb die Welt noch was in der Welt ist.“ „Die Welt vergeht mit ihrer Lust.“ So heißt es im Predigttext. Mir gehen diese Worte nicht so leicht über die Lippen.

Für uns hier und heute muss ich das anders sagen:

Lasst euch nicht einengen von eurer begrenzten Weltsicht. Nehmt nicht den Teil für das Ganze. Die Nachrichten sagen nicht, was am heutigen Tag alles gut war – obwohl davon so viel zu berichten wäre.

Lasst zu, dass Kirche nicht nur hier in diesem schönen Gebäude stattfindet und in den Gottesdiensten die hier gefeiert werden. Denkt an den Kindergottesdienst, der ein paar Häuser weiter gefeiert wird.

Denkt daran: Egal, wo ihr auf dieser Welt seid: In Ouagadougou, Neu Dehli, Sigapur, Peking, Rio de Janeiro, Los Angeles, … Überall habt ihr Schwestern und Brüder. Überall gibt es Menschen, die am Sonntagmorgen Gottesdienst feiern, in Slums oder in Villenvierteln.

Denkt an die pädagogischen Fachkräfte in den evangelischen Kindergärten und die Kinder, die von ihnen betreut werden.

Denkt an die Menschen, die in Heimen betreut werden, und die Menschen, die zuhause von einem christlichen Pflegedienst versorgt werden.

Denkt an die Menschen, die sich mit der Form unseres Gottesdienstes schwertun. Sie sind deshalb nicht weniger Kirche.

Denkt an all die Menschen, die tagtäglich Jesus nachfolgen möchten.

Gottes geliebte Menschen, an vielen Orten, in vielerlei Ausprägungen. Auch du bist Gottes geliebter Mensch. Du bist in diese Welt gesetzt, dass diese Welt eine Ahnung davon bekommt, wie die Welt auch sein kann. Werde der Mensch, der du in Gottes Augen schon heute bist.  Amen


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert