Predigt am 18. August 2024
12. Sonntag nach Trinitatis
Lukas 13,10-17
Liebe Gemeinde, das geht aber flott! Komm her, sagt Jesus, du bist erlöst von deiner Verkrümmung – er legt der Frau die Hände auf. Und schon richtet sie sich auf.
Jesus fragt nicht „Was brauchst du von mir?“ Oder „darf ich dich anfassen?“, „darf ich dir die Hände auflegen?“.
Jene, die uns diese Geschichte überliefert haben, machen sich nicht die Mühe einer ausführlichen Schilderung. Es geht ihnen nicht um das „wie“, sondern um das „dass“. Es geht darum, dass diese Frau sich wieder aufrichten konnte. Es geht darum, dass sie durch die Begegnung mit Jesus glücklicher wurde. Wenigstens für den Moment. Denn das ist auch festzuhalten: Wir erfahren dann nichts mehr von der Frau. Wir wissen nicht ob und wann sie wieder in sich zusammengesunken ist. Vielleicht war es tatsächlich nur ein einmaliges, zeitlich begrenztes Aufrichten? Manche werden jetzt vielleicht sagen: „Jesus macht keine halben Sachen“. Ich würde sagen: „Jesus macht einen neuen Anfang“. Dazu muss ich etwas ausholen.
Beschwerden in der Nacken- und Halsgegend nehmen zu. Die Arbeit an Computerbildschirmen und das Starren auf mobile Endgeräte hat stark zugenommen. Die wenigsten nehmen Arme und Hände in die Höhe, wenn Sie auf ihr Handy schauen, sondern Sie senken den Blick, senken den Kopf, geraten in eine so von unserem Bewegungsapparat nicht vorgesehene Haltung. Das gleiche geschieht gerne vor dem Bildschirm.
Neue Kulturtechniken hinterlassen schon immer Spuren am menschlichen Körper. So klagt ein Mönch im frühen Mittelalter darüber, dass das Schreiben die „Nieren quetsche“ – vermutlich schrieb dieser Mönch im Stehen.
Menschen unterziehen ihre Körper solchen Belastungen, weil sie sich davon etwas erhoffen. Sie sind fasziniert, gefesselt von dem, was sich in Büchern, im Internet entdecken lässt.
Luther spricht vom Menschen als einem in sich verkrümmten Menschen („incurvatus in se ipsum“). Aber er redet noch mehr davon, dass Gott den Menschen anspricht; So, dass er sich aufzurichten vermag.
Ich bin überzeugt: Nicht wenige Menschen warten auf ein Wort, wie es Jesus zu der Frau gesprochen hat: „Du bist erlöst“. Dein Leben, dein Wohlbefinden, deine Bedeutung hängt nicht von diesem Gerät ab, hängt auch nicht davon ab, ob du dein Buch heute oder morgen oder gar nicht zu Ende liest. Du bist ein Mensch, auch wenn du deiner Nachwelt nichts Schriftliches hinterlässt. Niemand muss Tagebuch schreiben. Du kannst dich aufrichten. Du darfst dich aufrichten. Tue es. Weite deinen Horizont. Sieh, was es in deiner näheren und weiteren Umgebung zu entdecken gibt. Bleib nicht gefangen in deiner Traumwelt, in deiner Wunschwelt. Sieh dir die Wirklichkeit an, die dich umgibt, werde Teil dieser Wirklichkeit.
Vor einiger Zeit las ich diesen Bibelabschnitt mit Mitarbeitenden einer Diakoniestation, mit Pflegekräften. Im anschließenden Gespräch über diese Begebenheit hörte ich Ernüchterndes: „Ja, Jesus heilt. Wir aber, wir können oft genug nur lindern. Wir pflegen Wunden. Wir bekämpfen Schmerzen. Wir betten Menschen bequem. Viele unserer Patienten sind alt. Das Altern ist ein unumkehrbarer Prozess.
Aber ich bekam auch zu hören: „Immer wieder sind es Patienten oder deren Angehörige, die uns Kraft geben für unseren Dienst“.
Ich erinnere mich selbst an den Besuch bei einer alten Dame. Sie war bettlägrig. Sie litt an verschiedenen Krankheiten und unter den Folgen eines Sturzes. Dennoch richtete sich in ihrem Bett auf, als ich das Zimmer betrat. Sie sprach freundlich mit mir und als ich sie wieder verließ, nahm ich viele gute Gedanken mit nach Hause.
Auch diese Frau war – in dieser gemeinsamen halben Stunde zumindest – frei von ihrer Krankheit. Sie ließ sich während meines Besuches nicht von ihrer Krankheit bestimmen. Sie wendete sich mir offen zu und sprach dankbar von einem geschenkten Tag.
Ich will Krankheit und Leid damit nicht klein reden. Manchmal treiben sie einem Tränen ins Gesicht. Krankheit ist für Betroffene eine Herausforderung, die sie an ihre Grenzen bringen kann – oder darüber hinaus.
Wenn wir jetzt nochmal von Jesu Handeln damals in der Synagoge lesen, dann steht da nichts von einer dauerhaften Heilung. Da steht die Geschichte einer Begegnung.
Was wir hören ist Jesu Wort: „Frau, sei frei von deiner Krankheit!“ Und wir lesen: Für eine gewisse Zeit hatte die Krankheit keine Macht mehr über die Frau. Sie richtete sich auf und lobte Gott.
Der Synagogenvorsteher hingegen sieht nicht die Frau. Er sieht nur seine Gesetze und Vorschriften, auf die religiöse Überlieferung. Er verteidigt den Sabbat, den Ruhetag.
Doch Jesus erinnert mit seinem Tun an den Ursprung des Sabbat: Alle Sabbatgebote und -verbote haben ihre Wurzel darin, dass der Mensch wenigstens an diesem Tag nicht verbrauchend oder gar zerstörend in Gottes Schöpfung eingreifen soll: Er soll den Acker nicht mit dem Pflug verletzen, er soll im Herd kein Holz verbrennen, also auch keine warmen Speisen zubereiten. So wurde aus dem Gebot der Ehrfurcht vor der Schöpfung ein Arbeitsverbot. Religiöse Juden lassen – am Rande bemerkt – am Sabbat ihr Auto stehen.
Jesus aber erfüllt das Gesetz des Mose. Er lenkt den Blick seiner Kritiker auf die Wurzel des Sabbatgebotes zurück. Er bringt die Schöpfung wieder zurecht. Er richtet die gekrümmte Frau auf. Er bringt das Licht der Sonne wieder in ihr Gesicht. Vielleicht nur für eine Weile, vielleicht nur für diesen Sabbat-Tag. Aber das ist schon so viel! Manchmal wirkt sich eine sonntägliche Erfahrung auf eine ganze Woche aus. Bis zum nächsten Sonntag.
Der Sonntag als unser Sabbat könnte der Tag sein, an dem wir den Computer ausschalten und das Handy weglegen. Damit wir die Erfahrung machen: Ja, so kann das Leben auch sein. Ich sehe mein Gegenüber wieder. Ich sehe das Grün im Garten, das Blau des Sees. Vielleicht darf es sogar sein, dass jemand sich aufrichtet, dem ich an diesem Tag begegne. Ja, ich bin ein ganzer Mensch.
Ja, Jesus macht keine halbe Sachen. Er macht einen neuen Anfang. Diesen neuen Anfang legt er in unsere Hände, jeden Sonntag aufs Neue.
Amen
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