Dein Nächster ist wie du

Predigt am 25. August 2024

13. Sonntag nach Trinitatis

3. Mose (Levitikus) 19,19,1-3.13-18.33.34

Die Enkelin Lisa geht stolz an der Hand ihres Großvaters. Der trägt eine schicke dunkelblaue Uniform. Er ist Lokomotivführer. Und morgen im Kindergarten wird Lisa allen anderen Kindern davon erzählen, was sie für einen Großvater hat.

Liebe Gemeinde,

Es macht etwas mit Menschen, wenn Sie sich verbunden fühlen. Manche Fußballfans tragen das Trikot ihres Lieblingsnationalspielers. Andere ahmen ihre Lieblingssängerin oder ihren Lieblingssänger nach.

Und so macht es auch etwas mit Menschen, wenn sie wissen, dass sie zu Gott gehören. Im Bibelabschnitt für den heutigen Sonntag, 3. Mos 19,1-3.13-18.33.34 hört sich das so an:

https://www.die-bibel.de/bibel/LU17/LEV.19

„Ihr sollt heilig sein“ sagt Mose zu den Israeliten. Und die Israeliten hören mit: Gott hat uns ausersehen, sein Volk zu sein. Wir sind ihm heilig.

Und genauso sind Sie, bist du, bin ich ihm heilig. Das Zeichen, welches uns dessen vergewissert, [nicht die Voraussetzung!] ist die Taufe: Du bist heilig. Du bist besonders. Das ist das Erste und Grundlegende, was wir uns klar machen dürfen. Ich und du sind Gottes Kinder. Auf diese Zusage können wir uns verlassen. Gott wird nicht wortbrüchig. Auch dann nicht, wenn andere es und nicht anmerken, zu wem wir gehören.

Das andere sollte aber auch nicht sein, dass uns

ein Dünkel zu Kopfe steige, wir seien nicht nur besonders, sondern wir seine etwas Besseres.

Dann wären wir die, die’s geschnallt haben und da die anderen alle.

Lisa ist stolz, weil sie einen Opa hat, der eine Lokomotive fahren kann, nicht weil sie selbst das könnte. Aber Lisa strahlt etwas aus.

Was können wir in unserem Alltag ausstrahlen? Denn wenn wir am Sonntagmorgen in den Gottesdienst gehen, mag uns hier am See vielleicht jemand im Bademantel begegnen, der zum Schwimmen geht. Aber ansonsten schlafen oder frühstücken die anderen noch – oder sie sind schon viel früher als wir aufgestanden, um einen Berg zu besteigen.

Mit dem Gottesdienstbesuch tun wir etwas für uns. Aber auch nach dem Gottesdienst und von Montag bis Samstag sind wir Christenmenschen: Im Beruf, im Straßenverkehr, beim Einkaufen.

Der für heute zusammengestupfte Bibelabschnitt aus dem „Heiligkeitsgesetz“ 3. Mose (Levitikus) 19 bietet ein Allerlei konkreter Anregungen, denen allerdings die sozialen Verhältnisse von damals zugrunde liegen. Folglich stehen auch die sozialen Probleme von damals im Vordergrund. Aber die waren so anders nicht: Daher haben auch wir uns einzusetzen für ein ausgewogenes und rücksichtsvolles Verhältnis der Generationen zueinander, gerechten Lohn, Teilhabe von behinderten Menschen am gesellschaftlichen Leben, unabhängige Gerichte und Rechtsprechung, besonnenen Umgang miteinander und die allgemeine Gültigkeit der Menschenrechte, unabhängig von der Herkunft der Menschen.

Es ist gut, dass all dieses inzwischen auch zu einem großen Teil in die allgemeine Rechtsprechung eingeflossen ist.

Aber das heißt ja noch nicht, dass es den Menschen in Fleisch und Blot übergegangen ist. Manche meinen, unsere Gesetze hätten für sie keine Geltung. Das Rot der Ampel gilt für sie nicht, wenn der Überweg frei ist. Sie parken auf Radwegen oder unbefugt auf Parkplätzen, die behinderten Menschen vorbehalten sind. Aufsätze zum Thema Steuerschlupflöcher werden gerne gelesen.

Und manche ernennen sich einfach selbst zu sogenannten „Reichsbürgern“ und meinen, damit würden die Gesetze nicht mehr für sie gelten.

Liebe Gemeinde,

niemand ist, der alles richtig macht im Leben. Niemand vermag das Seelenheil zu erwerben, indem er alle Gesetze und Vorschriften sklavisch erfüllt.

Nicht die Gesetze sind der letzte Maßstab, sondern Gott selbst.

Nicht umsonst kommt im 19. Kapitel des 3. Buches Mose (Levitikus) 16-mal der Ausdruck vor: „ich bin der Herr, euer Gott“. Und 6-mal finden wir die Worte „Ich bin der Herr, euer Gott“ in der Versauswahl, die uns für heute vorgelegt ist.

Der Predigttext erinnert an „euren Gott“. Und damit ist deutlich: Gott lebt aus der Beziehung zu Menschen. Das Wörtchen „euer“ drückt eine Beziehung aus.

Aus der Beziehung zu ihrem Lokomotivführer-Großvater schöpft Lisa ihr Selbstbewusstsein, ihre Freude, ihren Stolz.

Wir dürfen die Zeilen des Bibeltextes heute auch für uns hören. Der Gott, von dem da die Rede ist, ist auch der unsere. Er hat sich in Jesus Christus auch zu den Nichtjuden bekannt.

Und so gipfelt der Textausschnitt in einem Vers, der uns allen bekannt sein dürfte: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst;“ wiederum gefolgt von den bekannten Worten: „ich bin der Herr.“

Anders übersetzt könnte dieser Vers auch heißen:

„Du sollst deinen Nächsten lieben, denn der ist wie du.“ So zeigt es uns Martin Buber, der große Gelehrte.

Damit ist nun nicht mehr gesagt, wie wir unseren Nächsten lieben sollen, sondern was der Grund unseres Liebens ist: Der andere, die andere, mein Gegenüber ist genau wie ich. Ich trete den Menschen, die mir begegnen nun ganz anders gegenüber: ich nehme meine Ich-Brille ab, sehe im anderen mich selbst: Die Unterscheidung zwischen einem Subjekt, das handelt, und einem Objekt das behandelt wird, ist aufgehoben. Was zählt, ist die Beziehung, die es zu pflegen gilt. Zwischen mir und meinem und meinen Nächsten, wie auch die Beziehung zwischen mir und Gott. Wir gehören zusammen.

Und damit sind wir wieder bei Lisa und ihrem Lokführer-Opa.

Amen


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