Predigt am 1. Advent in der Schlosskirche Friedrichshafen
Wir hören den Predigttext für den 1. Sonntag im Advent. Es ist der 24. Psalm. Leider ist im Gesangbuch unter Nummer 712 nur sein Schluss zu finden – umso lohnender, den kostbaren Text heute ganz zu betrachten:Les
Lesung des Predigttextes Psalm 24,1-10 nach der Lutherbibel 2017
Gott, schenke uns ein Wort für unser Herz und ein Herz für dein Wort! Amen
Drei gut abgrenzbare Abschnitte finden sich in diesem dichten dichterischen Text:
„Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist,
der Erdkreis und die darauf wohnen.
Denn er hat ihn über den Meeren gegründet und über den Wassern bereitet.“
Ja, das können wir gut nachvollziehen, hier in dieser bevorzugten Lage am Bodensee, Wasser, Berge, Obstgärten, Wälder, sobald wir die Bebauungsgrenzen überschreiten. Wir können im Eriskircher Ried spazieren gehen oder einen Ausflug auf den Gehrenberg unternehmen. Wundervolle Ausblicke in die Weite sind uns vergönnt und Einblicke in die kleinen Schönheiten, die es in einem Naturschutzgebiet zu entdecken gibt. Und nun auch schon der Schnee und seine Kristalle am ersten Advent.
Wir kommen ins Staunen. Und wo das Staunen ist, da ist Gott nicht weit.
(Lassen wir uns nicht von einem Weltbild ablenken, das eine naturwissenschaftlich überholte Vorstellung von der Welt zeichnet: Die Erde schwimmt nicht auf dem Wasser)
Der zweite Abschnitt beginnt mit einer Frage:
„Wer darf auf des HErrn Berg gehen?“
Offenbar geht es von der Natur in die Kultur. Da ist ein heiliger Berg, der die Menschen nicht nur staunen lässt. Sondern Sie stehen auch ehrfürchtig davor. Sie scheuen sich, ihn zu betreten.
Erst gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts, das ist in der Menschheitsgeschichte noch nicht so lange her, kamen Menschen in größerem Maße auf die Idee, dass man Berge auch besteigen könne, einfach so. In den Anden und im Himalaya ist das vielen Menschen noch heute Anmaßung und Übergriff. Denn auf den Bergen sitzen die Götter, so deren Überlieferung.
Im Psalm steht der Jerusalemer Tempelberg vor dem Pilger und Wallfahrer. Nachdem er auf seinem womöglich tagelangen Fußmarsch Natur durchschritt, begegnet er nun der Kultur. Er steht jetzt vor dem mächtigen Tempel.
Der Pilger fragt sich: Darf ich da hinauf, darf ich da hinein? Und er gibt sich selbst eine Antwort:
„Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist,
wer nicht bedacht ist auf Lüge und nicht schwört zum Trug“
Hände können streicheln, können geben, und pflanzen, sie können schlagen, nehmen und ausreißen. Sie können zerstören und aufbauen. Es ist nicht gleichgültig, was wir Menschen mit unseren Händen tun. Das gleiche gilt für unser Reden: Wir können mit Worten, verletzen, verleumden, lügen und demütigen. Wir können mit Worten aufrichten, anerkennen, fürsprechen und würdigen.
Es ist nicht gleichgültig, was wir tun, wenn wir reden oder schweigen.
Es gibt einen, der Wert darauflegt, was wir sagen und was wir nicht sagen, dem es wichtig ist, was wir mit unseren Händen tun.
Wer Gottes Nähe sucht wie jener Pilger, der muss dies wissen.
Herz, Mund und Hände, das sind die Werkzeuge, mit denen die Menschen damals vor 2500 Jahren wirkmächtig den Lauf der Dinge gestaltet haben.
Für uns heute ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir Botschaften absenden, die mit einem Klick sich auf dem ganzen Globus verbreiten, dass wir Bilder in Umlauf senden, die jederfrau und jedermann zugänglich sind. Wir bearbeiten die Erde schon lange nicht mehr nur mit unseren Händen. Menschen graben unter der Erde und fliegen ins Weltall. Künstliche Intelligenz ist eine neue Herausforderung.
Aber damals wie heute: Herz, Hände und Mund, spielen auch heute die wesentliche Rolle, wenn wir mit anderen Menschen und der Welt, die uns anvertraut ist, umgehen, sie pflegen und bewahren oder misshandeln.
Wer Gottes Nähe sucht wie jener Pilger, der muss dies wissen auch heute. Der weiß auch, wie der Pilger damals: Gott lässt sich nicht festsetzen in einem Tempel auf einem Berg. Er ist hier und dort und noch ganz woanders zu finden. Nach Gott zu fragen, ihn zu suchen, das ist die Aufgabe des Glaubenden.
„Das ist das Geschlecht, das nach ihm fragt,
das da sucht dein Antlitz, Gott Jakobs.“
So endet der zweite Abschnitt des Pilger- oder Wallfahrtspsalms.
Wir stoßen auf den dritten Teil, den wir aus dem Gesangbuch als Psalm 24 kennen:
„Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe!“
Gott ist in Bewegung, er kommt auf seine Erde, besucht den Erdkreis um selbst dort zu wohnen. Er sucht die Menschen auf, um unter ihnen zu bleiben.
Frage ist nur, wie kommt er dorthin? Ist die Einfahrt frei, sind die Tore und die Türen offen? Wird mit ihm noch gerechnet? Wird noch nach ihm gefragt?
Die Christenheit bereitet sich mit dem Lied „Macht hoch die Tür“ auf seine Ankunft vor, macht sich bereit: „Meins Herzens Tür dir offen ist“ werden wir in der letzten Strophe zum Ausgang des Gottesdienstes singen.
Der Psalm 24 aber umfasst die ganze Schöpfung: Ein Menschenherz ist nicht zu klein für Gott und die Welt nicht groß genug für den, der da kommt:
„O wohl dem Land, o wohl der Stadt, so diesen König bei sich hat“ macht dies deutlich.
Das Land, die Stadt verändert sich mit dem Kommen Gottes. Die Kirchtürme und die Festtage und die Advents- und Weihnachtsfeiern allein machen es nicht.
Es sind die Menschen, die sich auf den Weg machen, Gott zu suchen, nach ihm zu fragen, wie jener Pilger im heute gelesenen Psalm.
Amen